Studio Hildebrand

Mag.Art. Christoph Hildebrand

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WORDS

JOANA BREIDENBACH
in ‚Transmitter‘ / European Media Art Festival
Osnabrück 2004

(read english version below)

In den Fenstern der Osnabrücker Stadtbibliothek leuchten raumhohe Neonbuchstaben. Am Ort der traditionellen Archivierung und Vermittlung von Wissen und des abendländischem Kulturerbes – umgeben vom gotischen Rathaus, barocken Bürgerhäusern und 50er Jahre Nachkriegsbauten – reflektiert Christoph Hildebrand’s Installation WORDS Dynamiken und Folgen der nach-Gutenbergschen digitalen Welt.

Was aus der Ferne noch aussieht wie eine riesige Lichtskulptur, verwandelt sich für den vorbeilaufenden Passanten zu einem einzelnen Wort, offenbart sich aus der Nahsicht als Piktogramm-Matrix. Aus einem 108 Neonzeichen umfassenden Symbolmenu – Smiley, Copyright, Speerwerfer, Sprechblase, Totenkopf, Haus, Herz – sind die Lettern zusammengesetzt. Sie kartographieren essentielle Güter und Waren, stehen für unterschiedliche zivilisatorische Werte.

Wie auf der Benutzeroberfläche eines Computers sind die Zeichen und Anwendungsmöglichkeiten begrenzt. Vorbeigehende Passanten und Betrachter können per SMS oder e-mail aus ihnen Wörter bilden und – unzensiert – zum Leuchten bringen. Maximal 6 Buchstaben stehen zur Verfügung. WISSEN, FICKEN, WUNDER sind realisierbar, FLANIEREN, DEUTSCHLAND, BECKHAM nicht. Diese Beschränkung ist System. Schon der 1992 vom Künstler realisierte Media Altar thematisierte den technischen Determinismus. Der Computer gibt dem Benutzer eine begrenzte Anzahl von Ausdrucksmöglichkeiten, Hierarchisierungen, Rastern, Speichermöglichkeiten vor, er liefert die Werkzeuge, mit denen der Mensch sich ausdrücken kann. Kein Denken außerhalb der Box.

Oder doch? Denn genauso wie Kultur sich in einem ständigen Dialog und spannungsvollem Wechselspiel zwischen Struktur und Strategie, System und Akteur entwickelt – der Mensch die Box, die sein Denken begrenzt, selbst geschaffen hat – so offenbart auch Hildebrand’s interaktive Installation ein komplexes Verständnis der Wechselwirkungen zwischen global vernetzter Kommunikation, kultureller Identität und sozialem Wandel.

„Die neuen Werkzeuge formen ihre Erfinder“ sagt Hildebrand und eröffnet zugleich dem Betrachter einen ganzen Kosmos zur Aneignung. Denn die einzelnen, gleichberechtigt nebeneinanderstehenden Piktogramme, treten in den Sreens, der Werkgruppe der WORDS zuzurechnen ist, in einen steuerbaren Dialog untereinander, währenddessen die unterschiedlichsten Sinnzusammenhänge ausgelotet werden können. Ein Herz in Kombination mit einem Dollarzeichen und/oder einem Tempel, verändert seine Bedeutung ebenso radikal wie das Baby neben dem Copyright oder der leeren Sprechblase.

Piktogramme als universelles Referenzsystem

Viele Symbole stammen aus dem westlichen Kulturkreis. Doch vordringlichstes Merkmal der digitalen Moderne ist ja gerade ihre weltweite Verbreitung. Im Zuge der Globalisierung lassen sich Weltbilder, Waren und Menschen nicht mehr konkreten Orten zuordnen; sind vielmehr ein global verfügbarer Fundus.

Denn die Kehrseite der Standardisierung ist Kompatibilität. Weltweit beziehen sich immer mehr Menschen auf die gleichen Konzepte und Standards, Waren und Geschichten. Microsoft Word, Lady Diana und Din-Normen bilden die Benutzeroberfläche, entlang derer Menschen in Port Morseby, Köln oder Seattle durchs Leben navigieren. Doch die gleichen Waren und Ideen werden manchmal mit höchst unterschiedlichen Bedeutungen versehen. McDonalds ist in China beliebt, weil die Toiletten so sauber sind. Cola Flaschen finden sich auf japanischen Fruchtbarkeitsaltären. Wir eignen uns Fremdes an, um mehr wir selbst zu werden.

Paradoxerweise steigert die Standardisierung die kulturelle Ausdifferenzierung. An den exponentiell zunehmenden Schnittstellen gehen formal begrenzte Zeichen neue, vom Produzenten vielfach nicht intendierte Kombinationen ein. Es entstehen neue Assoziationen und Kulturformen.

In diesem Sinne funktionieren die Screens wie ein universelles Referenzsystem, innerhalb dessen Grenzen, Unterschiede zur Sprache gebracht und Gemeinsamkeiten gefunden werden können. Aus dem Kosmos möglicher Ideen werden bestimmte hervorgehoben, andere ignoriert. Es entsteht eine neue Hegemonie. Doch diese ist eine strukturelle und keine inhaltliche, denn auch wenn die Zeichen weltweit verstanden werden können, so varriert ihre Bedeutung, Ausgestaltung und Umsetzung von Ort zu Ort und Individuum zu Individuum.

In der Piktogramm-Matrix trifft Archaisches auf Modernes, Metaphysisches auf Technische Artefakte, Soziales auf Digitales. Doch der Reiz des spannungsreichen Dialogs auf verschiedenen Ebenen liegt gerade darin, daß er sich der eindeutigen Zuordnung widersetzt. So sind die einzelne Piktogramme Facetten einer holistischen Moderne, die sich ihrer eigenen Widersprüche und Spannungen bewußt ist. Copyright stößt auf Peace-Zeichen: eine hegemoniale Rechtsstruktur, internationale Patentanwälte und Pharmakonzerne treffen auf eine gegenkulturelle Macht, die in Form der weltweiten Friedens- oder Anti-Globalisierungsbewegung, sich der gleichen kommunikativen und organisatorischen Strukturen bedient, diese herausfordert und transformiert.

SMS als Kultursystem

Auf der Buchstabenebene kehren die über den Rathausplatz leuchtenden individuellen Botschaften, ebenso wie die Mobiltelephone derer sie entstammen, den von Zivilisationsforschern beschriebenen Trend der Kolonialisierung des privaten Lebens durch den öffentlichen Raum um. Denn wie wir täglich feststellen können, werden plötzlich die privatesten Gespräche für alle hörbar geführt, beim Bäcker oder in der Bahn.

Vermeintlich unpolitisch birgt die unzensierte SMS-Kultur, wie sie in WORDS gespiegelt wird, ihren eigenen Zündstoff, indem alte Autoritäten – in Osnabrück am Platz verdichtet vertreten durch Bibliothek, Rathaus und Kirche – in Frage gestellt werden. SMSende Jugendliche entziehen sich der Kontrolle ihrer Eltern, die bei Telephonaten sonst immer noch ganz gerne mitgehört hatten. Bürger totalitärer Staaten, wie z.B. in China, untergraben per SMS die staatliche Zensur, denn anders als das Internet, welches die Behörden auf vielerlei Art kontrollieren, können Kurzmitteilungen genutzt werden um Versammlungen einzuberufen oder Menschenrechtsvergehen zu verbreiten. Überwachungsmechanismen und Kontrolle stehen Flexibilisierung und Subversion gegenüber.

Auch auf der semantischen Ebene begegnen wir den doppelbödigen Folgen technischer Begrenzung. Denn sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten werden durch SMS’s einerseits extrem begrenzt und führen manchen Beobachtern zufolge zu einer sprachlichen Verarmung. Zugleich entstehen eine Fülle neuer Wortschöpfungen, Icons und Kürzel, die wiederum die sprachliche Entwicklung jenseit der Mobilkommunikation beeinflußen. Jedes Medium ist so gut, wie die Aneignungsmöglichkeiten, die es bietet. WORDS steht Ihnen offen.

 

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Floor-to-ceiling neon letters shine in the windows of Osnabrück’s municipal library. At the site of the traditional archiving and transmission of knowledge and Western cultural heritage – surrounded by the Gothic town hall, baroque town houses and 1950s post-war buildings – Christoph Hildebrand’s installation WORDS reflects the dynamics and consequences of the post-Gutenberg digital world.

What looks like a huge light sculpture from a distance transforms into a single word for the passer-by, and reveals itself as a pictogram matrix when seen up close. The letters are composed of a menu of 108 neon signs – smiley, copyright, spear-thrower, speech bubble, skull, house, heart. They map essential goods and commodities, stand for different civilisational values.

As on the user interface of a computer, the signs and possible applications are limited. Passers-by and viewers can form words from them via SMS or e-mail and – uncensored – make them glow. A maximum of 6 letters are available. WISSEN, FICKEN, WUNDER are realisable, FLANIEREN, DEUTSCHLAND, BECKHAM are not. This restriction is a system. The Media Altar realised by the artist in 1992 already thematised technical determinism. The computer provides the user with a limited number of possibilities of expression, hierarchies, grids, storage possibilities; it supplies the tools with which man can express himself. No thinking outside the box.

Or is there? Because just as culture develops in a constant dialogue and tense interplay between structure and strategy, system and actor – man has himself created the box that limits his thinking – Hildebrand’s interactive installation also reveals a complex understanding of the interactions between globally networked communication, cultural identity and social change.

„The new tools shape their inventors“ says Hildebrand and at the same time opens up a whole cosmos for the viewer to appropriate. For the individual pictograms, which stand side by side on an equal footing, enter into a controllable dialogue with each other in the Screens, the WORDS group of works, during which the most diverse contexts of meaning can be explored. A heart in combination with a dollar sign and/or a temple changes its meaning just as radically as the baby next to the copyright or the empty speech bubble.

Pictograms as a universal reference system

Many symbols originate from Western culture. But the most urgent feature of digital modernity is precisely its worldwide distribution. In the course of globalisation, world views, goods and people can no longer be assigned to specific places; they are rather a globally available pool.

For the flip side of standardisation is compatibility. Worldwide, more and more people refer to the same concepts and standards, goods and stories. Microsoft Word, Lady Diana and Din standards form the user interface along which people in Port Morseby, Cologne or Seattle navigate through life. Yet the same goods and ideas are sometimes given vastly different meanings. McDonalds is popular in China because the toilets are so clean. Coke bottles are found on Japanese fertility altars. We appropriate foreign things to become more ourselves.

Paradoxically, standardisation increases cultural differentiation. At the exponentially increasing interfaces, formally limited signs enter into new combinations, often not intended by the producer. New associations and cultural forms emerge.

In this sense, the screens function like a universal system of reference within whose boundaries, differences can be brought to language and commonalities can be found. From the cosmos of possible ideas, certain ones are highlighted, others ignored. A new hegemony emerges. But this is a structural hegemony, not a hegemony of content, because even if the signs can be understood worldwide, their meaning, design and implementation varies from place to place and individual to individual.

In the pictogram matrix, the archaic meets the modern, the metaphysical meets technical artefacts, the social meets the digital. But the appeal of the exciting dialogue on different levels lies precisely in the fact that it resists unambiguous classification. Thus the individual pictograms are facets of a holistic modernity that is aware of its own contradictions and tensions. Copyright encounters peace signs: a hegemonic legal structure, international patent lawyers and pharmaceutical corporations meet a counter-cultural power that, in the form of the worldwide peace or anti-globalisation movement, uses the same communicative and organisational structures, challenges and transforms them.

SMS as a cultural system

On the letter level, the individual messages shining across the town hall square, just like the mobile phones from which they originate, reverse the trend described by civilisation researchers of the colonisation of private life by public space. For as we can see every day, suddenly the most private conversations are conducted for all to hear, at the bakery or on the train.

Supposedly apolitical, the uncensored text message culture as reflected in WORDS holds its own dynamite by questioning old authorities – in Osnabrück represented in the square by the library, city hall and church. Texting youths escape the control of their parents, who were otherwise still quite happy to listen in on telephone conversations. Citizens of totalitarian states, such as China, undermine state censorship via SMS, because unlike the internet, which the authorities control in many ways, short messages can be used to call meetings or spread human rights violations. Surveillance mechanisms and control are contrasted with flexibilisation and subversion.

On the semantic level, too, we encounter the ambiguous consequences of technical limitation. For on the one hand, linguistic possibilities of expression are extremely limited by text messages and, according to some observers, lead to a linguistic impoverishment. At the same time, a wealth of new word creations, icons and abbreviations are emerging, which in turn influence linguistic development beyond mobile communication. Every medium is as good as the appropriation possibilities it offers. WORDS is open to you.